2. Termin
Peter fährt mich ins Spital. Immer noch wirkt es sehr leer, ein wenig wie ausgestorben. Beim Eingang desinfiziere ich meine Hände, fasse eine Maske und gehe hoch in den achten Stock. Die Pflegefachfrau, kennt mich nicht, weil sie mich zum ersten Mal mit Perücke sieht und ich – wie alle anderen im Spital – eine Gesichtsmaske trage. Vom Gesicht, der Mimik bekommt man nicht viel zu sehen. Sie meint, die Perücke schaue sehr echt aus. Später kommt die Abteilungsleiterin und sticht meinen Port an.
Dann geht’s runter zur Radiologie. Abdomen und Thorax werden „durchleuchtet“. Was ich empfinde: die Maschine ist mir wohl gesinnt, sie trägt Sorge, freut sich, ihren Job zu machen. Bei mir kommt eine heitere, fröhliche Stimmung auf. Nach etwa fünfzehn Minuten kann ich wieder hoch in den achten Stock. Dort bin ich eine Zeit lang allein im Zimmer. Ich schaue aus dem Fenster, geniesse die Aussicht. In der nahen frühlingshaft grünen Wald-Hügellandschaft blitzt ein gelber Fleck eines Rapsfeldes auf, weiter hinten liegen die St. Galler und Glarner Alpen, sind in verschiedenen Tiefen und Graustufen hintereinander aufgereiht, darüber hängt ein mit Schleierwolken behangener Himmel. Ein wunderbares Bild. Und plötzlich sehe ich sie, die Mauersegler, die flink und wendig um das alte Spitalgebäude flitzen, an dessen Nordseite ich sehen kann. Plötzlich verschwindet einer dieser Segler über einem der Fenster in einem Schlitz, die Flügel noch ausgebreitet, um sich kurz darauf wieder in der gleichen Körperhaltung aus dem Schlitz fallen zu lassen und in einen halsbrecherischen Flug zu wechseln. Die Vögel nisten seit Jahren in diesem Spitaltrakt, meint die Pflegefachfrau, als ich sie darauf anspreche und sie hofft, dass sie ihre Jungen noch aufziehen können, bevor die oberen Stockwerke rückgebaut werden. Das sollte reichen, die Aufzucht der Jungen dauert etwa sechs Wochen, der Rückbau beginnt voraussichtlich im Juli. Für eine zweite Brut wird es knapp.
Ich frage die Pflegefachfrau nach Verhaltenstipps für den Alltag von Peter und mir. Sie verweist auf einen Artikel von einem Oberarzt des Kantonsspital St. Gallen, in dem er betont, dass krebskranke Menschen und schwangere Frauen mit ihren Kindern aufgrund der Erfahrungen, die man in der Schweiz aber auch in Italien machen konnte, gar nicht so stark gefährdet seien. Das Virus sei eher für Leute mit Bluthochdruck, Diabetes oder Herzschwierigkeiten eine Bedrohung. Bei diesen Patienten und Patientinnen würde es eine Art Überreaktion des Immunsystems auslösen und das führe oft zu einem schwereren oder schweren Verlauf und teilweise auch zu Folgeschäden. Sie meint, es gelte die Abstand- und Hygiene-Massnahmen weiterhin einzuhalten, aber sich den Alltag auch „lebenswert“ einzurichten. Davon, dass wir uns räumlich trennen, wenn Peter wieder unterrichtet, hält sie nichts. Sie meint, wir wissen ja nicht, wie lange das dauert. Wir sollen uns eine Strategie mit guten Schutzmassnahmen überlegen, die für uns stimmt, und diese Strategie je nach Verlauf der Pandemie halt anpassen.
11 Uhr: Herceptin tröpfelt seit einigen Minuten über den Port in mich hinein. Ich verpasse den Start, bin abgelenkt. Später, als ich allein im Zimmer bin, wende ich mich dem Mittel zu. Ich nehme eine Bewegung wahr, als ob jemand sanft über meine Wirbelsäule fahren würde, eine angenehme, wellenartige Berührung.
Später erhalte ich Nachschub einiger Medikamente und die erste Prolia-Spritze. Bezüglich Zehen und geschwollenem Bein, meint die Pflegefachfrau, dass ich möglichst bald zu einer Podologin und Physiotherapeutin gehen soll. Offiziell können diese Branchen ab nächster Woche wieder arbeiten. Aber ob ich das will, nach draussen gehen, das ist mir noch nicht klar. Ich werde diese Frage auch mit Herrn Fehr diskutieren.
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