Auf die letzten Tage
Am Montag 16. September brachte mich meine Nachbarin mittags ins Herz-Neuro-Zentrum am Bodensee. Dann folgten Blutentnahme, Untersuche, Zimmerbezug. Aufs Abendessen kam Peter vorbei. Es war ein wunderbar milder Sommerabend, wir konnten im Garten essen, drehten im kleinen Park anschliessend noch einige Runden.
Nachts gab es noch einen Einlauf. Morgens holten sie mich samt Bett aus dem Zimmer und ab diesem Zeitpunkt weiss ich nichts mehr, bis zum Aufwachen in der Intensivstation. Nein, ich kann mich noch an den OP-Saal erinnern, der mir im Vergleich zu den anderen Räumen der Klinik recht gross erschien. Lagerung, OP dauerte alles bis etwa 15 Uhr. Es gab Blutungen, weshalb sie mich dann bis Mittwoch schlafend hielten.
Am Mittwoch wurde ich nach Münsterlingen zum MRT gefahren. Erinnere mich an Geräusche, Stimmen, dass ich umgebettet wurde. Dann zurück in der Intensivstation. Dort war es unwahrscheinlich eng und hektisch. Notfälle kamen rein oder Leute nach OPs. Befunde wurden diskutiert, ich war total gespeedet, unwahrscheinlich unruhig, ein richtiges Fägnäscht.
Dann kam Peter, er stand einfach neben dem Bett, hielt meine Hand, wenn ich nicht gerade am Herumfuchteln war, ein Fels in der Brandung, ruhig, ausgleichend, wohltuend.
Später werde ich aufs Überwachungszimmer verlegt. Endlich Ruhe, bis ein anderer Patient ins Zimmer geschoben wird, ein Mann und seine „Frauen“, s. w. Mutter, Schwestern. Irgendwann scheinen sie mich zu bemerken und dämpfen ihre Stimmen. Der Mann wird verlegt und kurz darauf kommt die nächste Patientin, eine über 80-jährige Frau. Sie ist gesprächig, aber nicht aufdringlich. Später ergeben sich viele Anknüpfungspunkte zu Peter. Die Welt ist klein.
Am zweiten Tag wird die ältere Dame von einer ihrer Töchter und einem kleinen Enkel besucht. Dieser vier Wochen alte Junge und seine Grossmutter bringen etwas Grosses mit, sie zeigen mir das „Geschenk des Lebens“ auf eine ganz ursprüngliche, einfache und selbstverständliche Art und Weise. Die beiden sind mit Zauberfäden eng verbunden, ganz natürlich wirkt das alles. Das berührt mich stark, ist so wohltuend, beinah ein Lebensblitz. Sie zeigen mir etwas ganz Heiliges, das ich kaum in Worte fassen kann und für mich, als grade frisch am Hirn Operierte so wirkt, als würden sie mir das Leben, das Dasein mitbringen und offenbaren.
Seit gestern bin ich allein im Zimmer, was ich sehr geniesse. Schmerzen habe ich keine, ich spüre einfach einen starken Druck am Hinterkopf, bei der Schnittstelle und es fühlt sich an, als ob ich in Nacken und Kopf einen unwahrscheinlich starken Muskelkater hätte. Ich mag schon ein wenig schreiben, lesen, telefonieren. Gehen ist schwierig, klappt nur mit Hilfe von anderen Leuten oder Rollator. Die Nerven seien beleidigt und das Kleinhirn reagiere stark, sei sehr irritiert und alles – vor allem Gleichgewicht und Gangsicherheit – müssten wieder programmiert werden, vieles sei aus dem Lot geraten, das brauche Zeit.
Ich werde wieder von allen Seiten unterstützt, das Netzwerk ist aktiv. Peter begleitet mich, schenkt mir seine Liebe, Kerzen brennen, es wird an mich gedacht, für mich gebetet, was auch immer – ganz viele sind dabei – auch die Natur, die Bäume und Sträucher vor dem Fenster der Klinik, die Vögel, die Weite über dem schwäbischen Meer, der Abend- und Nachthimmel und ES, in dessen Hand (das Bild habe ich vom Bühnenbild der diesjährigen Bregenzer Festspiele), ich mich wunderbar weich gebettet, erholen kann.
Telefon mit Anouk
Sie meint, Cortison stütze den Körper. Für viele wirke Cortison deshalb auch so heftig, weil es nicht als Hilfe auf der körperlichen Ebene angeschaut werde, sondern als „ein schädliches Medikament“. Im Moment sei ich im Einklang mit dem Körperlichem, mit den Medikamenten und der Heilung. Sie „schaut“ oft nach mir und meint, ob mir die Ärzte auch gesagt hätten, dass ich es gut mache.
Sie meint, die Übungen mit den inneren Linien seien wichtig, auch jene, um den inneren Raum weiter zu machen und dass ich alles mache, was die Ärzte mir raten.
Das Wissen vom Körper helfe mir auch.
Ich erzähle ihr vor einer Essattacke, die ich hatte. An einem Tag musste ich wirklich viel essen, Brot und Salat nachbestellen, Süsses essen. Mir schien es, als ob ich seit Jahren nicht mehr einen so starken Hunger verspürt hätte. Das sei gut, das Reptilienhirn melde sich: Essen, unbedingt essen!
Das mit dem Laufen werde besser. Alles brauche Zeit, das Hirn brauche auch Zeit. Alles müsse wieder aufgebaut werden.
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