Was werde ich heute erfahren?
Bin wieder die Erste und werde herzlich empfangen. Wegen meiner Symptome bin ich nervöser als sonst. Werde ich heute etwas Unangenehmes erfahren?
Während die Fachfrau den Venflon setzt, sage ich ihr, wie es mir geht. Sie meint, ich solle das später der Ärztin erzählen, ich könne nach Abschluss der Therapie warten, wenn ich wolle, da die Visite erst gegen elf Uhr stattfinden werde. Als die Kochsalzlösung in mich hineintröpfelt, kann ich mich etwas beruhigen.
Neben mir liegt eine ältere, hagere, sehr gepflegte Dame. Ich habe den Eindruck, sie schaue nach innen und ihr gehe es nicht gut. Beginnt sie aber zu reden, hellt sich ihr Gesicht auf und sie wirkt wach und fröhlich. Sie erzählt mir, dass sie vor sieben Jahren beide Brüste entfernen musste, aber alles gut kam. Vor kurzem wurde bei ihr Rückenmarkkrebs entdeckt, weshalb sie eine weitere Chemo erhält – und sie meint, ihr fallen zum zweiten Mal alle Haare aus. Zudem wurde ein Tumor an einem Rückenwirbel gefunden, den sie bestrahlen lassen muss. „Aber wissen Sie, man hängt doch am Leben – und ich kann noch vieles machen.“
Der Rollladen bedeckt mehr als die Hälfte des Fensters. Draussen scheint die Sonne und ich höre die Schwalben, zudem summt der Kühlhauben-Apparat sein einlullendes Lied.
Nach etwa einer halben Stunde wird Atezolizumab/Placebo aufgezogen. Heute will ich aufmerksam interagieren. Ich spüre das Medikament im Bauchraum – wie ein Zusammenziehen. Etwas später fühle ich eine starke Präsenz in Händen und Fingern. Diese beiden Gefühle ziehe ich durch die Leitungen in meinem Körper – so wie Elizabeth mir das empfohlen hat. Der Druck in meinem Körper nimmt ab, macht einer Weite Platz und ich sehe klarer. Es geht darum, anzunehmen, was kommt, damit der Körper ungehindert damit arbeiten kann. Bin ich mit Bildern machen, Abwehr und Angst beschäftigt, hat der Körper nicht alle Kapazitäten für den Austausch, das Umsetzen des Medikamentes zur Verfügung.
Beim Entfernen des Venflons erfahre ich, dass alle Werte beim letzten Mal gut waren. Da mein Bett für die nächste Krebspatientin gebraucht wird, kann ich in einem anderen Zimmer auf die Ärztin warten.
Ich habe die junge Ärztin noch nie gesehen. Sie hört mir aufmerksam zu und meint, sie habe nicht das Gefühl, dass es sich um Nebenwirkungen des Medikamentes handle. Es könne etwas Mechanisches sein. Vielleicht sei ein Kristall in mein Ohr geraten und verursache diese Schwindelgefühle. Das könne sich wieder auflösen. Ich soll die Sache gut beobachten und mich bei einer Verschlechterung melden. Medikamente verschreibt sie nicht, Ingwer könne bei Übelkeit helfen. Ich habe es mit Fenchelsamen versucht, das sei auch gut, meint sie. Am Nachmittag findet die Studiensitzung statt, sie wird meine Symptome dort thematisieren und mich, falls nötig, informieren.
Ihre Diagnose beruhigt mich, genau wie die guten Werte.
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